Mögliche Gründe, warum sich dein Kind nicht an Vereinbarungen hält

Da das Thema „Vereinbarung mit Jugendlichen“ immer wieder Eltern und Jugendliche in meine Praxis führt und ich dort immer wieder die immense Frustration, Wut, manchmal sogar Verzweiflung auf beiden Seiten spüren kann, möchte ich eine kleine Serie zu diesem Thema starten.

„Das darf doch nicht wahr sein! Jedes Mal wieder! Wozu haben WIR Vereinbarungen getroffen und DU hältst dich nie daran! So geht das nicht weiter! Ich muss mich auf dich verlassen können! So kann ich dir nicht vertrauen! Ich versteh das nicht! Wir haben uns doch hingesetzt und du hast zugestimmt. Du hast sogar unseren Vertrag unterschrieben! Wieso hältst du die Vereinbarungen nicht ein? Das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt!“

Von der Schuld zur Verantwortung

Solche oder ähnliche „Gespräche“ finden in vielen Familien mit Jugendlichen leider häufig statt. Eltern sind dabei oft verzweifelt, dass sie ihrem Kind nicht (mehr) vertrauen können, dass sie sich nicht darauf verlassen können, dass Vereinbarungen auch eingehalten werden. Und den Jugendlichen wird meist die „Schuld“ dafür gegeben. Doch die Verantwortung im Umgang mit dieser Art von Konflikten liegt hier bei den Erwachsenen, denn statt Schuld zu zuweisen, könnten sie auch nachfragen, WARUM sich die Jugendlichen denn nicht an Vereinbarungen halten. Denn jedes Verhalten hat seinen Grund. Daher ist eine Haltung der Neugier, des Interesses, der Offenheit und der Lösungsorientierung der Erwachsenen hilfreicher als Schuldzuschreibungen und Konsequenzen, wie es leider immer noch in vielen Familien aus Mangel an Alternativen praktiziert wird.

Es gibt keine Patentrezepte

Wie können solche Themen aber nun möglichst konfliktarm „gelöst“ werden? Dafür gibt es kein Patentrezept, aber ich möchte gerne ein paar Gedanken und Ideen dazu aufzeigen, die helfen können, einen Perspektivenwechsel zu vollziehen und neue Lösungsstrategien zu entwickeln, damit sich Jugendliche und Eltern gesehen und ernst genommen fühlen können.

“WIR haben eine Vereinbarung getroffen!”

Wenn Eltern mit ihren jugendlichen Kindern in meine Praxis kommen, um herauszufinden, warum sich ihr Kind nicht an Vereinbarungen hält, dann lautet meine erste Frage: „WIE ist denn diese Vereinbarung zustande gekommen?“ Dabei stellt sich in den meisten Gesprächen heraus, dass die ELTERN festgelegt haben, was die Jugendlichen zu tun, zu lassen haben oder wann sie zu Hause sein müssen. Diese Vorgangsweise hat mit einer Vereinbarung nichts zu tun. Diese „Vereinbarungen“ werden als BEFEHLE von den Jugendlichen wahrgenommen.

„Aber du hast doch zugestimmt und sogar unterschrieben!“, lautete der Einwand einer Mutter, die betroffen erkannt hatte, dass die Vereinbarung tatsächlich einer Befehlsausgabe gleichgekommen war. „Ja, klar! Weil ich keine andere Chance gesehen hatte. Ich habe ein paar Mal versucht, dir zu sagen, dass es für mich so nicht passt. Doch du wolltest mir nicht zuhören. Da wollte ich nur noch raus aus der Situation und hab den blöden Zettel unterschrieben!“, so die Aussage eines jungen Mannes, der sich gemeinsam mit seiner Mutter auf einen Prozess einließ, um neue Wege in der Mutter-Sohn-Beziehung gehen zu können.

Eltern der heutigen Zeit sind meist sehr daran interessiert, eine gute Beziehung mit ihren Kindern zu leben und sie sprechen viel mit ihnen. Doch dabei wird manchmal übersehen, dass die Gespräche oft Monologen gleichen: Eltern argumentieren, erklären und begründen, warum dieses oder jenes zu geschehen hat.

Oft wird den Jugendlichen dabei nicht WIRKLICH zugehört. Dabei ist dieses „GEHÖRT WERDEN“ ein menschliches Grundbedürfnis. Gehört werden heißt aber noch lange nicht, dass damit automatisch geschehen muss, was sich die Jugendlichen wünschen. Gehört werden ist ein erster Schritt in Richtung einer WIRKLICHEN Vereinbarung. BEIDE Seiten werden ernst genommen. ALLE Interessen werden auf den Tisch gelegt und dann wird darüber nachgedacht und verhandelt, welche Vereinbarung für ALLE passen könnte.

Anpassungsleistung muss von den Erwachsenen erbracht werden

Es sind dann oft Kompromisse, die dabei (meist von allen Seiten) eingegangen werden. Dennoch muss in diesem Prozess die Anpassungsleistung von den Erwachsenen erbracht werden, wenn es ihnen ein Bedürfnis ist, eine gute Beziehung zu ihrem Kind zu haben bzw. wenn sie vermeiden wollen, dass ihre Kinder beginnen ein Doppelleben zu führen oder zu lügen. „Kinder lügen nur, wenn die Erwachsenen die Wahrheit nicht aushalten,“ lautet eine Aussage Jesper Juuls, die für viele Eltern meist sehr schmerzlich ist. Doch wenn man sich als Erwachsener an seine eigene Teenagerzeit zurückerinnert, dann werden die meisten feststellen, dass Verbote und Befehle schon damals nicht funktioniert hatten, wenn denn nicht die Angst vor den Folgen so groß war, dass der/die Jugendliche seine Integrität zugunsten der Kooperation aufgegeben hat und brav das tat, was die Erwachsenen verlangten. Doch wollen wir das auch heute noch für unsere Kinder?

Ich freue mich wie immer auf eure Kommentare, Fragen und euer Feedback.

Herzliche Grüße und ein wundervolles Wochenende.

Eure Ines

https://inesberger.at/2020/07/30/blog-vereinbarungen-2/

https://inesberger.at/2020/07/30/blog-vereinbarungen-3/

2 Kommentare
  1. Julia Eder
    Julia Eder sagte:

    obwohl ich selbst Pädagogin und systemische Beraterin bin, zweifel ich immer mehr an diesen „es liegt im System “ Aussagen. Meine Tochte r(13) z.B. hatte alles an emotionaler emphatischer Begleitung, Grenzen setzen, Sicherheit, Liebe, Fürsorge, sicheres Wohnumfeld, eine Mama, die für sie da ist uvm. Trotzdem hält sie sich jetzt nicht an Vereinbarungen, zeigt den Mittelfinger, ist egoistisch und emphatielos. Bis zur Pubertät war sie das Gegenteil. Ich hab ihr das alles nicht vorgelebt und trotzdem ist es jetzt so. Mir erschließt sich das Warum nicht und vor allem der Egoismus und das „kein Team mehr sein und kleine Aufgaben zuverlässig erledigen oder auch auch mal gegenseitige Aufmerksamkeit zurückgeben, tut weh

    Antworten
    • inesbergerat
      inesbergerat sagte:

      Liebe Julia, bitte entschuldige die verspätete Antwort, doch zuerst war ich in einer längeren Auszeit und dann ist mir deine Nachricht durchgerutscht.
      Ich kann deine Gedanken soooo gut nachvollziehen. Und doch weiß ich und habe ich mittlerweile sooo oft erfahren und miterleben dürfen, dass diese Ego-Phase dazugehört. So wie die „Trotzphase“ wichtig für die Entwicklung unserer Kinder ist.
      Und doch ist dieses Gefühl für uns Eltern phasenweise fast unerträglich. Wir fangen an, an uns zu zweifeln, nach unseren „FEhlern“ zu sichen, … Und da startet für mich die Schatzkiste Pubertät.
      Wir dürfen nun vertrauen, dass wir eine gute Basis für unsere Kinder geschaffen haben.
      Wir dürfen nun lernen loszulassen und den Fokus wieder vermehrt auf uns selbst legen.

      Deine Tochter hat nun sooo viel mit sich selbst zu tun, dass sie jetzt eine Zeit lang wenig Rücksicht auf die anderen nehmen wird. Doch ich bin mir ziemlich sicher, dass sich das wieder ändern wird. Zumindest ist das meine Erfahrung der letzten 35 Jahre.

      Doch für uns Eltern bedeutet das auch, nun eine neue „Rolle“ einzunehmen und auch uns selbst und unsere Grenzen noch besser kennenzulernen und für uns einzustehen. Auf diesem Weg kommen uns allerdings oft unsere eigenen Glaubensätze und unsere Geschichte in den Weg. Und sich darauf einzulassen, das ist die Königsdisziplin.

      Wenn du dir dabei Unterstützung wünschst, dann freue ich mich, von dir zu hören.
      Alles Liebe
      Ines

      Antworten

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