Warum Jugendliche unser Vertrauen und keine Erziehung mehr brauchen

Vertrauen ist nichts, was sich ein anderer verdienen müsste

Viele Eltern haben einen klaren Standpunkt: Sie wollen unbedingt von ihren Kindern Vertrauen einfordern. Vertrauen aber ist Übungssache. Hier kommen Lösungsvorschläge, wie Eltern Vertrauen zu ihren Jugendlichen aufbauen oder vertiefen können.

Wenn du selbst ein Elternteil bist, kennst du sicher folgende Sätze:

„Ich muss dir vertrauen können.“
„Ich kann dir leider nicht vertrauen.“
„Du hast mein Vertrauen missbraucht.“
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“

Solche oder so ähnliche Sätze hören viele Jugendliche regelmäßig, und ich bin überzeugt davon, dass die meisten Erwachsenen diese Sätze in der eigenen Adoleszenz von ihren Eltern gehört haben. Für mich trifft das jedenfalls zu. Doch diese Sätze haben nichts mit dem Vertrauen zu tun, das Menschen im Allgemeinen und Jugendliche im Besonderen brauchen. Vertrauen ist nichts, was sich ein anderer verdienen müsste.

Unsere Kinder vertrauen uns von Anfang an bedingungslos. Sie kennen und können es gar nicht anders, da sie ja von klein auf von uns abhängig, auf uns angewiesen sind. Und auch wenn sie größer werden, dann vertrauen sie uns oft sogar in dem Ausmaß, dass sie ihre eigene Integritätverletzen, weil sie darauf vertrauen, dass wir ihnen nicht schaden wollen. Immer wieder verzeihen sie uns, und es passiert sehr selten, dass Kinder ihren Eltern das Vertrauen entziehen. Da müssen wir uns schon wirklich sehr anstrengen.

Vertrauen ist bedingungslos

Vertrauen ist eine Haltung, für die ich mich als Eltern entscheiden kann. Bei kleinen Kindern darf ich darauf vertrauen, dass mein Kind weiß,

… wann es Hunger hat,
… wann es müde ist,
… wann es nicht mehr spielen oder kuscheln will,
… wann es friert oder ihm zu heiß ist,
… wann es Zeit ist, gehen zu lernen oder sauber zu werden.

Die Liste ließe sich noch lange fortführen.

Bei Kindern bis zum Schuleintritt fällt das vielen Eltern noch relativ leicht. Ab dem Schuleintritt wird es herausfordernder, und spätestens in der Adoleszenz stoßen Eltern immer wieder an ihre Grenzen. Denn dann beginnen sich die Jugendlichen von ihren Eltern schrittweise zu lösen. Sie werden selbstständiger und fordern ihre Selbstständigkeit auch (oft sehr vehement) ein. Sie stellen die Meinungen ihrer Eltern in Frage, hinterfragen deren Werte.

All das ist für das Heranwachsen ein ungemein wichtiger Prozess. Der Jugendliche muss SELBST herausfinden, wer er ist, was er kann. Er muss Fehler machen dürfen, um daraus lernen zu können. Er wird Konsequenzen für sein Verhalten anderen gegenüber spüren müssen. Er wird manchmal auf die Nase fallen und sich weh tun. Und dann braucht er Eltern, die für ihn da sind, ihm empathisch zuhören, ihn trösten, ihn in den Arm nehmen und ihm sagen:

„Wir sind für dich da.“
„Boahh, das hört sich heftig an.“
„ Brauchst du unsere Unterstützung? Wenn ja, was brauchst du von uns?“
„Wir vertrauen darauf, dass du eine Lösung für dein Problem finden wirst. Wenn du unsere Unterstützung brauchst, dann sind wir für dich da.“

Kinder müssen eigene Erfahrungen machen

Wir dürfen darauf vertrauen, dass Jugendliche beim Erwachsenwerden auch viele Erfahrungen machen „dürfen“, die wir ihnen gerne ersparen würden. Doch das ist nicht möglich. Erfahrungen gehören zum Lernen und Großwerden dazu. Viele Eltern wollen ihre Kinder vor negativen Erfahrungen mit Lehrer*innen oder Mitschüler*innen etc. schützen. Dann sprechen sie entweder mit der Lehrerin oder dem Lehrer, den Mitschülern und wollen das Problem für ihr Kind lösen. Dabei übersehen sie aber einen sehr wichtigen Punkt: immer, wenn ich etwas für mein Kind übernehme oder löse, signalisiere ich ihm: „Du kannst das nicht.“ „Ich vertraue dir nicht, dass du das Problem (vielleicht mit meiner Unterstützung) lösen kannst.“

Jugendliche brauchen aber unser Vertrauen, damit sie einen starken Selbstwert und gesundes Selbstvertrauen entwickeln können. Und das geht nur über eigene Erfahrungen, die oftmals auch wehtun werden, und mit Hilfe des Vertrauens ihrer Eltern. Eltern glauben oft, dass sie ihrem Kind nur vertrauen können, wenn es das tut, was sie wollen und sie entschieden haben, weil sie zu wissen glauben, was gut für ihr Kind ist. Doch das hat nichts mit Vertrauen zu tun. Wie kann ich als Mutter oder Vater wissen, was für mein Kind das Beste ist. Kein Mensch kann wissen, was für einen anderen das Beste ist. Es gibt einen geflügelten Satz in der „Psychoszene“: „Wenn jemand dein Bestes will, dann nimm deine Beine in die Hand und renn davon, so schnell du kannst!“

Vertrauen ist Übungssache

Jeder Mensch sollte selbst herausfinden dürfen, was ihm guttut, welchen Weg er gehen will. Dabei sollte es auch erlaubt sein, Fehler zu machen. Darauf sollten Eltern vertrauen. Und wenn sie es nicht aushalten, dann hilft es oft, sich Unterstützung zu erlauben, um mit dieser Hilflosigkeit umgehen zu lernen.
Vertrauen kann geübt werden. Als mein Sohn für ein Jahr in Indien sein Sozialjahr in einem Straßenkinder-Projekt einer riesigen Stadt absolvierte, da wurde ich immer wieder von Angst und Sorge gepackt. Doch ich habe in Coachingstunden für mich ein Mantra entdeckt, wie ich diese Ängste, nachdem ich sie wahrgenommen hatte, loslassen konnte. Und dafür habe ich mich jedes Mal wieder aufs Neue entschieden, nachdem ich mir klargemacht hatte, dass meine Sorgen NIEMANDEM helfen, sondern nur mein Leben beschweren.

Sorgen von Eltern können für die Jugendlichen auch eine massive Belastung darstellen. Eine Freundin erzählte mir, dass sie sich in der Pubertät oft sehr belastet fühlte, wenn sie merkte, dass es ihren Eltern ihretwegen schlecht ging. Sie hatte oft das Gefühl, dass sie dafür verantwortlich ist, wenn es ihren Eltern schlecht geht, weil sie selbst gerade nicht glücklich war, weil sie Probleme mit ihren Freundinnen oder Liebeskummer hatte, weil sie in der Schule gerade nicht die Noten bekam, die sich ihre Eltern wünschten. „Ich habe oft mehr Energie damit vergeudet, dafür zu sorgen, dass meine Eltern wieder mit mir zufrieden sind, als dafür, herauszufinden, wer ICH bin, was ICH will und was ICH brauche. Und wenn es mir nicht gelungen ist, dann habe ich mich wieder schlecht gefühlt, weil ich sie enttäuscht hatte.“

Der Schlüssel zum Selbstwert

Kinder sind nicht auf dieser Welt, damit sie ihre Eltern glücklich machen oder nicht enttäuschen. Es ist unsere Verantwortung als Eltern, unsere Kinder auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden so zu unterstützen, dass es ihnen in einem Prozess gelingt, zu psychisch gesunden, glücklichen Erwachsenen heranzuwachsen, die sich selbst vertrauen, wissen wer sie sind, ein gutes Selbstgefühl, Selbstvertrauen und einen gesunden Selbstwerthaben. Und um all das auf einem guten Weg lernen zu können, brauchen sie vor allem das bedingungslose Vertrauen ihrer Eltern.

Ich freue mich auf eure Kommentare und Fragen.

Herzliche Grüße
Eure

Ines Berger

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